Das Glück mit dem gelochten Ball
NLA-Spieler Yannick Jaunin und Jets-Funktionär Samuel Kuhn weilten während mehreren Wochen in Nepal, um mit dem Verein „Unihockey für Strassenkinder“ den Unihockeyvirus in Nepal zu streuen und vor allem Strassenkindern mit Unihockey Perspektive zu bieten.
(von Marisa Kuny, Zürcher Unterländer)
Seit Stunden holpert der Bus Richtung Pokhara. Samuel Kuhn schaut aus dem Fenster, hinaus in eine unwegsame, fremde Welt. Menschen und Tiere wuseln über die Strasse, Autos rasen scheinbar regellos über Schlaglöcher und Geröll. «Das perfekte Chaos», sagt er, zurück in der Schweiz, wo er sich Wochen später noch immer mit einem heiteren Staunen an seine Ankunft in Nepal erinnert.
Der 27-jährige Klotener reiste diesen Frühsommer für den Verein «Unihockey für Strassenkinder» nach Nepal, das zu den ärmsten Ländern Südostasiens zählt. Einst hat Kuhn selbst für die Kloten-Bülach Jets Unihockey gespielt, mittlerweile kümmert er sich um die Medienarbeit des Vereins. Mit im Bus sass auch sein Freund Yannick Jaunin (28), langjähriger NLA-Spieler der Jets. Er muss lachen, wenn er an die Fahrt nach Pokhara zurückdenkt: «Es war wie im Schüttelbecher, die Strassenverhältnisse gelinde gesagt prekär, der Fahrstil unseres Chauffeurs halsbrecherisch. Und Sicherheitsgurten existieren für die Nepalesen nicht.»Es waren mithin also nicht nur die hohen Temperaturen, die die Schweizer, kaum in Nepal angekommen, ordentlich ins Schwitzen brachten.
Spuren des Erdbebens
Eigentlich hätte das 13-köpfige Schweizer Team zur Akklimatisation zuerst ein paar Tage in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu verbringen sollen. Doch daraus wurde nichts. Wegen kurzfristig einberufener Wahlen wurde im ganzen Land für den Folgetag eine Reisesperre verhängt. Damit wollten die Behörden verhindern, dass Einwohner womöglich an verschiedenen Orten im Land ihre Stimme abgeben. Bevor das Alltagsleben zum Stillstand kam, hängten die Schweizer ihrem zehnstündigen Flug also gleich noch acht Stunden Busfahrt an. Es war nach Mitternacht, als die Reisegruppe in Pokhara ankam und im Gästehaus des Leprazentrums ihre Betten bezog. Hier sollte während einer Woche das Zuhause der Schweizer sein.
In Pokhara, der zweitgrössten Stadt Nepals, die sich ziemlich genau im geografischen Mittelpunkt des Landes befindet, sind die Folgen des verheerenden Erdbebens von 2015 noch immer unübersehbar, wenn auch nicht so deutlich wie in Kathmandu, das näher am Epizentrum lag. «Unzählige Häuser sind rudimentär mit Pfeilern abgestützt, damit sie nicht einstürzen. Gassen sind verschüttet, Strassen noch immer nicht passierbar», erzählt Jaunin. Die Bilder haben bei den beiden Unterländern Spuren hinterlassen. «Man sieht die eigenen Annehmlichkeiten des Alltags plötzlich in einem ganz anderen Licht», sagt Kuhn. Viele Menschen hätten noch immer kein Dach über dem Kopf, weil das Geld fehlt, um die Häuser wieder aufzubauen. Um die jüngsten und verletzlichsten der auf den Strassen Pokharas Gestrandeten kümmert sich seit 2008 der Schweizer Verein «Unihockey für Strassenkinder» in Zusammenarbeit mit dem ansässigen Hilfswerk Himalayan Life. In den verstrichenen knapp zehn Jahren hat sich das Unihockeyvirus in der Stadt rasant verbreitet. Im Indreni-Jugendzentrum trainieren jede Woche Hunderte von Kindern und jungen Erwachsenen, in rund 20 Schulen wird mittlerweile dem gelochten Ball nachgejagt. Da kommen einige Unihockeystöcke zusammen.
Mit insgesamt 400 Kilogramm Material im Gepäck haben die Schweizer am Flughafen Kloten abgehoben. «Schicken kann man die Ausrüstungsgegenstände nicht», erklärt Kuhn, «sie bleiben mit Sicherheit irgendwo hängen oder werden beschlagnahmt.» Die persönliche Übergabe sei daher ausgesprochen wichtig. Die Stöcke, die vom Verein «Unihockey für Strassenkinder» finanziert sind, werden extra für den Markt im globalen Süden hergestellt – ohne Griffband, es würde sich im feuchtwarmen Klima schnell zersetzen, und mit extra-dicken, robusten Schaufeln, da zumeist draussen auf Asphalt oder Gras gespielt wird.
Immer Vollgas
Die Hauptaufgabe des Schweizer Teams war indes nicht der Materialtransport, sondern die Ausbildung der einheimischen Trainer. Rund 40 Nepalesen nahmen am Instruktorenkurs teil und wurden mithilfe eines Übersetzers in Themen wie Taktik, Goalietraining, Schiedsrichter oder im Erstellen von Spielplänen geschult. Unglaublich motiviert und lernbegierig seien sie gewesen, findet Jaunin. Kuhn pflichtet ihm bei: «Sogar während der Teepausen haben sie mich ausgefragt und ich musste ihnen alles genau aufschreiben.» Einzig die täglichen Regengüsse besorgten den beiden Unterländern ab und an eine willkommene Atempause. «Wenn die Tropfen auf das Blechdach prasselten, haben wir unser eigenes Wort nicht mehr verstanden», erinnert sich Jaunin. Auch in den praktischen Übungen zeigten sich die Einheimischen unermüdlich. Weder die Mittagshitze noch ein unter Wasser stehendes Spielfeld konnte sie zu einem Unterbruch bewegen. Das hat Kuhn sichtlich beeindruckt. «Sie haben immer Vollgas gegeben und beim Spielen augenscheinlich alles rundherum vergessen. Keiner ist länger als nötig am Boden liegen geblieben, alle waren immer sehr fair.» Und stolz. Vor jeder gespielten Partie hätten die Nepalesen inbrünstig ihre Nationalhymne gesungen. Kulturelle Unterschiede spielten auf dem Feld ansonsten kaum eine Rolle. «Nur beim Abklatschen mussten wir aufpassen», bemerkt Jaunin, «die linke Hand gilt in Nepal als unrein.
Stark im Volley
Vom spielerischen Niveau der Nepalesen waren die Unihockeyaner aus der Schweiz positiv überrascht. «Ihre Volleyabnahmen sind vom Feinsten», erklärt der gestandene NLA-Akteur Jaunin. Da der Boden des einzigen richtigen Spielfeldes in Pokhara sehr uneben ist, sind sich die Jugendlichen gewohnt, die Bälle in der Luft abzunehmen. Die besten Nepalesen könnten sich in einem Schweizer U18- oder U21-Team behaupten, sind Jaunin und Kuhn überzeugt. Trotzdem halten sie es für keine gute Idee, die Talentiertesten für einen Austausch in die Schweiz zu holen. Erstens müsse sich ein Verein finden, der für die Jugendlichen bürgt. Zweitens könnte es unter den Nepalesen zu Konflikten führen. «Jetzt sind sie eine eingeschworene Gemeinschaft, alle stecken in derselben Situation. Wenn wir ein paar wenige privilegieren, bringen wir die Gruppe durcheinander», gibt Kuhn zu bedenken. Jaunin knüpft an die Aussage seines Freundes noch einen dritten Gedanken an: «Auch für den Einzelnen, der berücksichtigt würde, wäre der Aufenthalt in der Schweiz nicht einfach zu verarbeiten.» Es ist eine so amüsante wie treffende Anekdote, an die sich Jaunin in diesem Zusammenhang erinnert. Einer der nepalesischen Ausbildner, der vor ein paar Jahren tatsächlich in der Schweiz Erfahrung sammeln konnten, hat sie ihm erzählt. «Er war ganz angetan von unseren automatischen Schiebetüren. Als er zum ersten Mal vor einer gestanden hat, ist er anschliessend im Gebäude auf die Suche nach dem netten Menschen gegangen, der ihm ungefragt die Türe geöffnet hat. Er wollte sich bedanken.» Der junge Nepalese habe ihm anvertraut, dass er am liebsten den Rest des Tages einfach bei dieser Tür verbracht hätte.
Wie fremd und auch befremdend eine andere Kultur bisweilen sein kann, erlebten die Klotener selbst, als sie für ein paar Tage ins schwer zugängliche Yangri-Tal reisten. Dort, in einem abgelegenen Bergdorf im Vor-Himalaja, sollten sie für ein paar Tage beim Wiederaufbau einer Schule und eines Sportplatzes helfen. 75 Kilometer lag das Dorf von Pokhara entfernt, mit dem Auto eigentlich ein Katzensprung – nicht aber in Nepal. «Unser Jeep hat sich über sechs Stunden über Stock und Stein gearbeitet. Wir sind auf Wanderwegen gefahren, Höchstgeschwindigkeit war 30 Kilometer pro Stunde», erinnert sich Jaunin.
Stock vergraben
Einmal angekommen, halfen die Schweizer mit, Steine aus dem Bach zu holen, sie zu teilen und damit den Sportplatz zu betonieren. Schnell, so erzählt Kuhn, stellten sie fest: «In Nepal wird zuerst mit der Arbeit begonnen, erst dann wird situativ organisiert.» Die körperlich anstrengende Handarbeit ging nur schleppend voran, nach fünf Tagen war der Platz noch immer nicht ganz fertig. In der Schweiz, bemerkt Jaunin, wäre ein Betonmischer aufgefahren und hätte alles in einem Tag erledigt. In Zukunft soll die Schule mit dem neuen Sportplatz rund 100 Kindern aus den umliegenden Bergdörfern die Möglichkeit bieten, unterschiedliche Sportarten auszuüben, darunter auch Unihockey. Symbolisch wurde darum am letzten Tag ein Stock und ein Ball im Rahmen einer kleinen Zeremonie auf dem Areal einbetoniert. Das Spiel mit dem gelochten Ball, so sind Samuel Kuhn und Yannick Jaunin überzeugt, wird auch im Yangri-Tal überleben.
Informationen zum Verein „Unihockey für Strassenkinder findest du hier. Den Nepal-Blog zum Nachlesen gibt’s hier.